Tue Gutes und sprich darüber

Die Evidenz für die Überlegenheit von kognitiv aktivierenden Lehr/Lernformen («active learning») für konzeptionelles Verständnis verdichtet sich (Stern, 2018), die Akzeptanz bei Dozierenden wie auch Studierenden hingegen steigt nicht mit. Woran liegt das? Der Beantwortung dieser Frage haben sich Louis Deslauriers und Kolleg/innen der Harvard University angenähert.

Gerade in grossen Lehrveranstaltungen mit vielen Studierenden in den ersten Semestern ist die Frontalvorlesung als Gegenstück zum aktiven Lernen sehr prävalent. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Dozierende führen fehlende Zeit, wenig (personelle) Ressourcen und Bedenken bzgl. ihrer Evaluationsergebnisse ins Feld. Vor allem aber wird für das aktive Lernen im ohnehin schon überfüllten Syllabus kein Raum gesehen. Denn dieses (ver)braucht Zeit.

Dozierende, welche aktives Lernen im Unterricht integrieren, kehren ihm oft schnell wieder den Rücken, denn Studierende sind häufig zunächst nicht begeistert, wenn sie sich aktiv im Unterricht einbringen sollen. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, wie stark die klassische Frontalvorlesung in der universitären Lehre verankert ist.

Deslauriers et al. beschreiben in ihrer Veröffentlichung einen inhärenten Bias von Studierenden gegen active learning. Diesen erklären sie unter anderem durch die noch unausgereifte kritische Selbstreflexionskompetenz dem eigenen Lernen und Lernfortschritt gegenüber. Studierende können ihre Fachkompetenz anfangs noch nicht sehr gut einschätzen. Dieses Phänomen führt zu einer Minderung des von den Studierenden wahrgenommenen Lernfortschritts (Kruger, 1999). In der Folge sperren sich Studierende gegen das aktive Lernen. Dozierende erleben die Studierenden verunsichert oder gar verärgert und kehren zur «traditionellen» Vorlesung zurück.

Besitzt die Lehrperson einen angenehmen, flüssigen Vortragsstil, wird der wahrgenommene Lernerfolg von den Studierenden als gross erlebt. Problematisch hierbei ist, dass Tests des konzeptionellen Verständnisses zeigen, dass Studierende beim aktiven Lernen einen signifikant grösseren Zuwachs an konzeptionellen Verständnisses zeigen. Dies zeigen auch die Ergebnisse der neuen Studie deutlich. Gemessen wurde der Lernzuwachs von etwa 150 Studierenden der Harvard Universität. Dieser wurde verglichen mit der Selbsteinschätzung der Studierenden in Bezug auf die Lernumgebung der Veranstaltung. Gefragt wurde z. B., ob die Studierenden die Veranstaltung gut fanden und ob sie das Gefühl hätten, viel gelernt zu haben. Auch wurde nach der Lehrkompetenz der Lehrperson gefragt.

Sehr deutlich wird, dass aktives Auseinandersetzen mit dem Unterrichtsstoff das konzeptionelle Verständnis stärker fördert, als die klassische Frontalvorlesung. Hinzu kommt in der vorliegenden Studie der Befund, dass die Studierenden die Lehrveranstaltungen mit kognitiv aktivierenden Lehr/Lernformen nicht nur als schlechter für ihren Lernfortschritt einschätzen, sondern den Lehrpersonen offenbar einen weniger effektiven Unterrichtsstil bescheinigen. Nicht untersucht wurde, inwieweit dieser Effekt mit der affektiven Komponente seitens der Studierenden verknüpft ist, wie sehr also das Unbehagen gegenüber einer durchaus aufwändigeren Lernform in die schlechtere Bewertung des Unterrichtsstils hineinspielt.

Die Ergebnisse dieser Studie könnten weitreichende Implikationen haben. Nicht so sehr, da sie erneut belegen, dass kognitiv aktivierender Unterricht ein tieferes Verständnis der Materie fördert. Vielmehr beschreiben sie Widerstände für Lehrpersonen, die sich auf lernförderliche, studierenden-zentrierte Lehre einlassen, der viele abschrecken dürfte.

Aber es gibt Hoffnung! Deslauriers und Kolleg/innen schlagen mehrere Massnahmen vor, welche den Widerstand der Studierenden mindern können. Offene Kommunikation der Vorteile des active learning ist dabei essentiell. Hierzu gehört auch, den Studierenden mitzuteilen, dass diese Lernform mitunter Unsicherheit erzeugt, diese aber Teil des Lernprozesses ist. Für Dozierende könnte man es so zusammenfassen: Tue Gutes und sprich darüber.

Referenzen:

Stern, 2018: Hofer, S. I., Schumacher, R., Rubin, H., & Stern, E. (2018). Enhancing physics learning with cognitively activating instruction: A quasi-experimental classroom intervention study. J. Educ. Psych., 110(8), 1175–1191.

Kruger, 1999: Kruger, J., Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. J. Pers. Soc. Psychol. 77, 1121–1134.